Das Bundesteilhabegesetz im DRW

 Wo wir stehen und wo wir hinwollen

Das Bundesteilhabegesetz im DRW

 Wo wir stehen und wo wir hinwollen

Das 2017 verabschiedete Bundesteilhabegesetz (BTHG) möchte Menschen mit Behinderung mehr Teilhabe und Mitbestimmung ermöglichen. Wie aber hat es sich in der Praxis angelassen? Ein Zwischenbericht und Ausblick von Karl Böck, Leiter des Referats „Klientenbezogene Verwaltung“ im Dominikus-Ringeisen-Werk

Was ist das Ziel des Gesetzes?

Die Bundesregierung hatte den Auftrag, die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2009 umzusetzen. Im Koalitionsvertrag 2013 wurde festge­legt, ein „Modernes Teilhaberecht ohne neue Ausgabendynamik“ zu verabschieden. Im Mittelpunkt stehen dabei die selbstbestimmte Teilhabe und die Mitbestimmung bzw. die Mitgestaltung von Menschen mit Behinderung bei allen Fragen rund um Dienstleistungsangebote für diesen Personenkreis. Im Jahre 2017 wurde das Bundesteilhabegesetz schließlich vom Deutschen Bundestag verabschiedet.

Zeit bis Ende 2022, sich in Bayern auf das Gesetz einzustellen

In der ersten Stufe des Gesetzes wurde ab 1. Januar 2017 die Vermögensfreigrenze für Menschen, die Grundsiche­rung beziehen, auf 5.000 Euro erhöht. Ferner wurde das Arbeitsfördergeld für WfbM-Beschäftigte von 26 auf 52 Euro angehoben. In der zweiten Stufe ab 1. Januar 2018 wurde eine einjährige bundesweite Übergangszeit vereinbart. Diese wurde in Bayern bis zum 31.12.2022 verlängert. Der Zwischenschritt ermöglicht es sowohl Kostenträgern und Trägern von Einrichtungen aber auch Menschen mit Behinderung und deren gesetzlichen Betreuern, sich auf das neue Gesetz einzustellen, damit es ab 2023 voll umge­setzt werden kann.

Wir wollten die gesetzlichen Betreuer unserer Klientinnen und Klienten nicht alleine lassen.

Wie werden die Kosten abgerechnet?
Das, was insbesondere unsere Klientinnen und Klienten und deren gesetzliche Betreuer am meisten betroffen hat, ist die neue Art, wie die unterschiedlichen Leistungen der
Behindertenhilfe finanziert werden. Zum einen waren sie früher in diese Zahlungsströme nicht eingebunden, die stattdessen zwischen „Kostenträgern“ wie den bayerischen Bezirken und „Leistungsträgern“ wie dem Dominikus-Ringeisen-Werk abgewickelt wurden. Zum anderen ist es ab dem 1. Januar 2020 erforderlich, die erbrachten Leistungen in zwei Rechnungen aufzuteilen: in Kosten für Fachleistungen und in Kosten für Miete und Lebenshaltung.

Fachleistungen: Zur Fachleistung zählen die erbrachten Dienstleistungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Wohngruppen. Die Kosten hierfür werden durch die Kostenträger der Eingliederungshilfe getragen. Das sind in Bayern die Regierungsbezirke.

Miet- und Lebenshaltungskosten: Die Rechnungen für diese Kosten beinhalten den Aufwand für Unterkunft und Verpflegung im gemeinschaftlichen Wohnen und werden seit Anfang dieses Jahres direkt an die Klientinnen und Klienten gestellt. Diese begleichen sie aus ihnen evtl. zustehenden Renten, aus einem Werkstattlohn oder – wenn derartige Beträge nicht zur Verfügung stehen bzw. nicht ausreichen – aus der Grundsicherung. Die Grundsicherung wird beim Sozialhilfeträger beantragt und umfasst Bereiche wie Ernährung, persönliche Bedürfnisse und den Aufwand für Unterkunft und Heizung. Die Aufteilung der entsprechenden monatlichen Kosten wurde in einem Nachtrag zum Wohn- und Betreuungsvertrag zwischen dem Dominikus-Ringeisen-Werk und den Klientinnen und Klienten in Abstimmung mit dem Bezirk Schwaben geregelt. Somit ist sichergestellt, dass einerseits Träger wie das Dominikus-Ringeisen-Werk das ihnen zustehende Entgelt in der Höhe wie vor der Gesetzesänderung bekommen und andererseits unseren Bewohnerinnen und Bewohnern mindestens wieder der Barbetrag und die Bekleidungspauschale zur freien Verfügung stehen.

Das Gesetz hat eine Chance verdient: Wir bleiben dran!

Derzeit werden neue Instrumente zur Ermittlung des leistungsberechtigten Personenkreises sowie neue Systemati­ken zur Bedarfsermittlung erarbeitet und getestet. Dazu wird es am Ende der Übergangsphase in Bayern am 31. Dezember 2022 sicher zahlreiche interessante Angebote für unsere Klientinnen und Klienten geben. Diese Chance hat das Bundesteilhabegesetz verdient. Und sollten sich Schwächen des Gesetzes in der Praxis zeigen, werden die Verantwortlichen im Dominikus-Ringeisen-Werk alles daransetzen, Verbesserungen zum Wohle unserer Bewohner herbeizuführen.

Wie werden die gesetzlichen Änderungen umgesetzt?
Die Zuordnung der Kosten auf die Bereiche Eingliederungshilfe und Sozialhilfe war sehr komplex und arbeitsaufwändig. Für viele gesetzliche Betreuer war es eine große Herausforderung, die Vielzahl von Informationen zum Bundesteilhabegesetz aufzunehmen und die von allen Seiten eingehenden Schreiben zu diesem Thema zu berücksichtigen.

Es war ein immenser Verwaltungsaufwand, die Zahlungsströme neu zu organisieren. Dabei wollten wir die gesetzlichen Betreuer unserer Klientinnen und Klienten nicht alleine lassen. Um die Zahlungsströme (Renteneingänge, Wohngeld, Grundsicherung, Miet- und Lebenshaltungskosten etc.) abzuwickeln, wäre eigentlich die Eröffnung eines Girokontos notwendig gewesen, über das alle Zahlungsströme hätten fließen können. Um jedoch den gesetzlichen Betreuern die Neueröffnung eines kostenpflichtigen Girokontos zu ersparen, haben wir angeboten, die Zahlungen über die vorhandenen Treuhandkonten unserer
Bewohnerinnen und Bewohner abzuwickeln. Dieser Vorschlag wurde von den meisten der gesetzlichen Betreuer dankbar angenommen. Um die vielen offenen Fragen zum Thema Bundesteilhabegesetz und dessen Umsetzung klären zu können, haben wir zudem eine eigene „DRW-BTHG-Hotline“ eingerichtet. Die allermeisten Fragen von Angehörigen und gesetzlichen Betreuern konnten wir auf diese Weise zeitnah beantworten.
Zwischenzeitlich hat sich die Abwicklung der neuen Zahlungsvorgänge gut eingespielt und die erste große Aufregung rund um das Bundesteilhabegesetz hat sich gelegt.

Wichtig: Bescheide prüfen und Zahlungen kontrollieren

Damit die Klientinnen und Klienten nach Abzug der Miet- und Lebenshaltungskosten die ihnen zustehenden Beträge zu ihrer freien Verfügung auch tatsächlich auf ihren Treuhandkonten haben, ist es wichtig, dass gesetzliche Betreuer stets die Grundsicherungsbescheide prüfen und die eingehenden Zahlungen kontrollieren. So kann ggf. beim
Kostenträger Widerspruch eingelegt werden, wenn etwas nicht stimmt. Zu beachten sind außerdem die in den Sozialhilfebescheiden abgedruckten Fristen über die Leistungsgewährung. Mindestens drei Monate vor Ablauf der genannten Fristen müssen sich die gesetzlichen Betreuer um eine Verlängerung der Leistung kümmern. Die Anträge dafür können formlos beim Kostenträger gestellt werden. Die gesetzlichen Betreuer müssen diese für die Leistungen der Grundsicherung und der Fachleistung selbst beantragen. Eine Antragstellung durch das Dominikus-Ringeisen-Werk ist leider nicht mehr möglich. Die Fachdienste in den Einrichtungen unterstützen die gesetzlichen Betreuer dabei bei Bedarf.

Fazit
In zahlreichen Telefongesprächen wurde ich gefragt, wo denn die Vorteile des Bundesteilhabegesetzes lägen bei all dem immensen Verwaltungsaufwand. Und es stimmt auch: Betrachtet man die viele Arbeit bei der Neuorganisierung der Zahlungsströme, ist man anfänglich geneigt, dem Ganzen nicht viel Positives abzugewinnen. Auf den zweiten Blick jedoch stellt man fest, dass viele Klientinnen und Klienten durchaus mehr Geld zur persönlichen Verfügung haben als bisher. Außerdem wurden die Vermögensfreigrenzen im Bereich der Grundsicherung ab dem 1. Januar 2017 auf 5.000 Euro und im Bereich der Eingliederungshilfe ab dem 1. Januar 2020 sogar auf 56.070 Euro erhöht.