Ursberg im April 2024 – Zwei Jahre sind vergangen, seit in einer herausfordernden Rettungsaktion 82 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene aus der Ukraine mit teils schwerer Behinderung samt einigen Betreuerinnen aus der umkämpften Stadt Krywyi Rih im Südosten des Landes nach Deutschland geflohen sind. Untergebracht wurden sie in Ursberg, dem Stammsitz des Dominikus-Ringeisen-Werks (DRW) in einem eigens ertüchtigten Haus, dem „Haus Dominikus“. Die durchgemachten Strapazen der tagelangen Flucht, die ständige Angst vor Bomben und Tod und die traumatischen Erlebnisse der Kinder und ihrer Begleiter kann man höchstens erahnen. Viele kamen in einem seelisch und körperlich sehr schwachen Zustand in Deutschland an. Wie geht es ihnen heute, 24 Monate danach?
Fröhlicher Kinderlärm erschallt auf den Fluren und in den Gemeinschaftsräumen der Bewohner, die aufgrund ihrer Behinderung nicht in der Lage sind, Schuleinrichtungen oder Werkstätten für behinderte Menschen zu besuchen. So wie Ivan. Der junge Mann ist bereits 26 Jahre alt, aber kaum größer als 1,50 Meter. Ivan erlebt seit Kurzem eine völlig neue Welt. Bis vor einem halben Jahr hat er seine gesamte Lebenszeit fast ausschließlich im Bett zugebracht. An Bewegung oder gar selbstständiges Gehen war nicht zu denken. Erst in Ursberg fand sich mit Oleksandr, einem aus der Ukraine stammenden Pfleger, ein Mensch, der Zeit und Geduld hatte, um mit Ivan behutsam eine aufrechte Haltung einzuüben.
Mehr Lebensqualität
Behilflich waren dabei auch technische Hilfsmittel, die Menschen mit Behinderung in Deutschland zur Verfügung stehen. Inzwischen läuft Ivan stolz und mit viel Begeisterung in Begleitung seines Pflegers durch den Ort und entdeckt dabei jeden Tag Neues. Gruppenmitarbeiterin Svitlana sieht einen weiteren positiven Aspekt: „Durch die Bewegung hat Ivan insgesamt an Lebensqualität gewonnen. Er ist abends müde, seine Verdauung ist besser und er braucht dadurch weniger Medikamente.“
Schulbesuch hilft bei der Integration
Zehn der heute 78 Bewohnerinnen und Bewohner von „Haus Dominikus“ (von den ehemals 82 Kindern sind inzwischen vier aufgrund ihrer schweren Erkrankung gestorben) besuchen inzwischen die Dominikus-Schule des DRW, ebenfalls nur wenige hundert Meter von „Haus Dominikus“ entfernt. Sie sind zwischen neun und 18 Jahre alt. Ein weiterer Bewohner im Alter von acht Jahren nutzt die schulvorbereitende Einrichtung des DRW. Die Rückmeldungen der Lehrkräfte fallen durchweg positiv aus. Markus Keisinger, der von Seiten des DRW für „Haus Dominikus“ zuständig ist, sagt: „Natürlich mussten sich die Kinder an eine ganz neue Tagesstruktur gewöhnen und lernen, sich in eine ihnen unbekannte Gruppe einzufügen. War diese Hürde aber erst einmal geschafft, begannen sie, alles Neue aufzusaugen wie ein trockener Schwamm. Sie sind wirklich stolz, Schüler zu sein.“
Lebensfreude im Freizeitkurs
Markus Keisinger verweist zudem auf vier Bewohnerinnen, die mit viel Enthusiasmus in der Stickerei sowie der Weberei, die zu den Werkstätten für behinderte Menschen in Ursberg gehören, tätig sind. Stolz ist die 26-jährige Nastja, die nach ihrer Arbeit in der Weberei ihre große Lebensenergie noch in einem Holzbearbeitungskurs der Abteilung Freizeit einbringt. Auch nach einem anstrengenden Arbeitstag packt sie im Werkraum der Fachschule für Heilerziehungspflege des DRW begeistert die große Säge mit beiden Händen, um unter der Anleitung von Rudolf Haugg von der Abteilung Freizeit und Christian Gaa, Dozent der Schule, ein kleines Regal zu bauen. Dabei strahlt sie ununterbrochen über das ganze Gesicht. Es scheint, als habe Nastja die Strapazen von Krieg und Flucht weit hinter sich gelassen.
Mehr zur Flucht gibt es hier: DRW Gemeinsam - 02/2022