Digitale Unterstützung im Alltag
Digitale Geräte, die mitdenken, sollen den Alltag von Menschen mit Unterstützungsbedarf erleichtern. Ob das gelingt, hat sich GEMEINSAM-Redakteurin Petra Nelhübel in Ursberg und Pfaffenhausen angeschaut.
Marlies Feneberg schreibt mit den Augen. Flink und routiniert huscht ihr Blick über die Tastatur des Monitors, hält am gewünschten Buchstaben inne und signalisiert dem Gerät mit einem kurzen Blinzeln, dass er dieses Zeichen tippen soll. So arbeitet die 57-Jährige momentan an ihrer Biographie. Genauso surft sie auch im Internet und hält über WhatsApp Kontakt mit Familie und Freunden. Ist alles erledigt, kann sie auf die gleiche Weise auch ihren Fernseher ansteuern oder ein Computerspiel spielen.
Das Multifunktionswunder, das alle diese Möglichkeiten mittels Augensteuerung in sich vereinigt, heißt „Tobii“ und wird von einem Hightech-Unternehmen in Schweden hergestellt, das sich auf Blickerfassung („Eye-Tracking“) und Augensteuerung („Eye Control“) spezialisiert hat. Die Augensteuerung des Monitors sendet infrarotes Licht aus, das von den Augen reflektiert wird. Diese Reflektion wird wiederum von der Augensteuerung erfasst. Durch eine entsprechende Filterung und Berechnung merkt die Augensteuerung, wo der Klient hinschaut. Ein kurzes Blinzeln aktiviert den Befehl. Für Marlies Feneberg, die seit ihrer Kindheit unter der Friedreich-Ataxie, einer degenerativen Erkrankung des zentralen Nervensystems, leidet, bedeutet „Tobii“ eine enorme Erweiterung ihres Aktionsradius.
Weitgehend körperlich bewegungsunfähig und auf Pflege angewiesen konnte sie auf der Wohngruppe ihrer alten Heimat in Immenstadt nicht mehr angemessen versorgt werden und ist deshalb vor einem Jahr in eine vollstationäre Pflegeeinrichtung des Dominikus-Ringeisen-Werks (DRW) nach Ursberg umgezogen. Marlies Feneberg mag durch ihre Krankheit zwar körperlich inaktiv sein, ihr Geist aber ist hellwach und interessiert. „Tobii“ verschafft ihr die Möglichkeit, dies ihrer Umwelt auch mitzuteilen, sich auszutauschen und ihre Wünsche zu äußern.
Alltagsunterstützende Assistenzlösungen
Schon früh hat das Dominikus-Ringeisen-Werk begonnen, elektronische Hilfsmittel einzusetzen, die nicht nur die Pflege erleichtern, sondern vor allem auch dazu dienen, den Klienten selbstbestimmtes Handeln zu ermöglichen und eigenständig wirksam zu sein.
In der Ursberger Einrichtung Sankt Angelina lagern bei Martina Kohlenberger noch die Anfänge dieser Innovationen. Martina Kohlenberger ist als Heilerziehungspflegerin im gruppenübergreifenden Dienst tätig. Sie hat sich sehr viel mit alltagsunterstützenden Assistenzlösungen (AAL= Ambient Assisted Living) beschäftigt und sorgt dafür, dass diese in den Wohngruppen, in denen sie tätig ist, eingesetzt werden.
„Angefangen haben wir etwa 1998 mit dem ‚BIGmack‘“, erklärt sie die bunten, etwa handtellergroßen Drucktasten, die tatsächlich so aussehen wie die fast namensgleichen Burger einer bekannten Fast-Food-Kette. „Die BIGmack-Taster haben eine Aufnahmefunktion. Man kann Worte oder einzelne kleine Sätze aufnehmen, die beim Drücken der Taste abgespielt werden. Unsere Klienten können also mit ,Ja‘ oder ,Nein‘, ,Tee‘ oder ,Kaffee‘ auf einfache Art ihre Wünsche ausdrücken“, führt Martina Kohlenberger weiter aus. „Manchmal kommen diese Geräte noch zum Einsatz, aber es gibt inzwischen Hilfsmittel, die eine differenziertere Kommunikation möglich machen und dennoch einfach zu handhaben sind.“ Auch „Tobii“ wird in ihrer Einrichtung eingesetzt. Allerdings nicht mit der Augensteuerung, sondern – in Abstimmung auf die Bedürfnisse der Klientin – mit einer fingergeführten Tastatur. Dabei sind die einzelnen Buchstaben und Symbole mit einem Gitterraster unterteilt, um die Bedienung auch bei eingeschränkter Bewegungskontrolle zu erleichtern. Andere Kommunikationshilfen wie das Produkt „Talker“ des US-Unternehmens Apple setzen eher auf vorgefertigte Sätze, die über Symbolbilder auf der Tastatur abgespielt werden können. „Dabei kommt es jedoch sehr auf die kognitiven Fähigkeiten der Klienten an“, erläutert Martina Kohlenberger. Manchmal ist die Bildersprache der Icons schwer zu interpretieren. Soweit es möglich ist, ersetze ich in meinem Bereich diese Symbolbilder durch Fotos, die die Lebenswirklichkeit meiner Klienten besser widerspiegeln.“
Ein Roboter als Versuchsprojekt
Ganz ähnlich ist es auch bei einer Neuerwerbung des DRW. Gefördert von der Aktion Mensch ist seit vergangenem Oktober „Pepper“, ein Grundschulkind-großer, humanoider Roboter im Einsatz. In der Förderstätte Sankt Simpert und in der Wohneinrichtung St. Anna und Elisabeth wird der knuffige Kerl mit den niedlichen Kulleraugen hauptsächlich bei Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung in einem Versuchsprojekt eingesetzt. Begrüßen, freundliche Zugewandtheit und das Angebot kleiner Animationsspiele sind die bisherigen Einsatzmöglichkeiten. Projektleiter Stefan Quicker, ein erfahrener IT-Spezialist, betont seine enge Zusammenarbeit mit den pädagogischen Fachkräften der Einrichtungen. „Als IT-ler bin ich lediglich für die Programmierung von ‚Pepper‘ zuständig. Bei den Bedürfnissen der Klienten bin ich ganz auf die Mitarbeiter im Gruppendienst angewiesen.“
Umso besser kann das die Ehefrau des 53-Jährigen. Daniela Quicker vom sozialpädagogischen Fachdienst der Wohneinrichtung ist voll des Lobes über die Möglichkeiten, die sich mit dem Einsatz von „Pepper“ auftun: „Auch die eher introvertierten Bewohner begegnen ,Pepper‘ überraschend interessiert. Wir überlegen, wie die Ressourcen des Roboters unsere Klienten, auch außerhalb reiner Unterhaltungsangebote im Alltag unterstützen können.“
Wundermaschine DaVinci Pro
Rein gar keine Unterhaltung, sondern tatsächlich notwendige Unterstützung für vielfältige Aufgaben im Alltag erfährt Steffi Götzfried von ihrer „DaVinci Pro“. „Wundermaschine“ nennt die 39-jährige gelernte Korbflechterin ihr High-End-Bildschirmlesegerät mit integrierter Kamera. An ihrem Arbeitsplatz in der Bürstenmanufaktur des DRW in Pfaffenhausen im Unterallgäu ist sie mittels „DaVinci Pro“ in der Lage, ihre Sehleistung von lediglich vier Prozent so zu erhöhen, dass sie tatsächlich die kleinen Löcher im hölzernen Bürstenkopf sehen und ein Büschel dünner Bürstenhaare mit einem Draht durch die Öffnung ziehen kann. Bis zur 77-fachen Vergrößerung kann die Kamera jedes erfasste Objekt darstellen.
Vor eineinhalb Jahren wurde „DaVinci Pro“ angeschafft und wird seitdem eingesetzt. „Ich war gleich begeistert und habe sofort die Erleichterung bei der Arbeit für mich erkannt“, erklärt Steffi Götzfried und erläutert sogleich die Vorzüge ihrer Wundermaschine: „Das Gerät verfügt über eine Texterkennung, eine Vorlesefunktion und die Kamera ist um 340 Grad schwenkbar. So ist es auch möglich, meine Umgebung zu erkunden, Brettspiele zu spielen, Postkarten oder Tagebuch zu schreiben oder mich zu schminken.“ Alles Dinge, die Steffi Götzfried in dieser Qualität gerne auch zuhause tun würde.
Leider ist „DaVinci Pro“ mit Anschaffungskosten von etwa 4.000 Euro recht teuer. Ein ähnliches Gerät für den Hausgebrauch ist zwar auf dem Markt, aufgrund seiner Kon-struktion jedoch nicht für Linkshänder geeignet. „Da würde ich beim Schreiben immer nur meinen eigenen Handrücken sehen und nicht das Geschriebene. Privat nutze ich ,Siri‘ und mein iPhone von Apple. Ich bin froh über all die modernen Hilfsmittel, die mir den Alltag erleichtern.“