Gesucht: Baumeister des sozialen Miteinanders

Die Angebote des Dominikus-Ringeisen-Werks im Landkreis Neu-Ulm wachsen. Wo die Verantwortlichen ihren Beitrag für Menschen mit Handicap sehen und warum sie in einer besonderen Pioniersituation sind

 

Datum: 06. August 2021, 10:15 Uhr
Der künftige Leiter des stationären Wohnens Norbert Baur, Marie Herfurtner, ABW südl. Landkreis NU sowie Reinhard Gugenberger, Gesamtleiter Region Günzburg/Neu-Ulm freuen sich auf die Fertigstellung des Gebäudes und auf neue Kolleginnen und Kollegen.

Neu-Ulm/Vöhringen/ 05. August 2021 – Wer gerade ein größeres Bauvorhaben durchführt benötigt Geduld. Handwerker sind kurzfristig kaum zu bekommen. Die Fertigstellung verzögert sich. Reinhard Gugenberger, Leiter der Region Günzburg-Neu-Ulm des Dominikus-Ringeisen-Werks (DRW), sieht den Fortgang der großen Baustelle in der Falkenstraße in Vöhringen trotzdem positiv, obwohl auch er den Fertigstellungstermin bereits nach hinten schieben musste. Im kommenden Frühjahr, so plant er, sollen hier acht Bewohner mit Handicap einziehen. Bis dahin ist jedoch noch mehr zu erledigen als der Innenausbau des Gebäudes, dessen Namen schon feststeht: Die Einrichtung wird „Renate“ heißen.

Mit dem Neubau in Vöhringen wird das DRW im Landkreis Neu-Ulm die zweite Wohneinrichtung neben dem Johannes-Paul-Haus in Illertissen eröffnen. Dort leben bereits seit zehn Jahren 23 Menschen mit Behinderung. Das neue Haus „Renate“ in Vöhringen ist unterteilt in 24 stationäre Plätze für Menschen mit einer geistigen Behinderung und neun für solche, die in eigenen Appartements wohnen und ambulant unterstützt werden. Reinhard Gugenberger weiß um die große Vorfreude bei den künftigen Bewohnerinnen und Bewohnern und deren Familien. In Vöhringen hat ein Elternverein lange gekämpft, bis sich ein Träger fand, der eine neue Einrichtung im Landkreis Neu-Ulm errichtete. Denn für viele Eltern, die ihre behinderten Kinder zuhause pflegen, erzählt Gugenberger, stelle sich früher oder später die Frage: Was tun, wenn unsere Kräfte nicht mehr ausreichen? „Mit unserem Angeboten zeigen wir, dass wir da sind für diese Familien“, sagt er.

Oft der einzige soziale Kontakt

Da  sein für Menschen mit Hilfebedarf will auch Kevin Kaiser. Er ist verantwortlich für die Ambulanten und Offenen Hilfen des DRW. Hier bekommen Menschen mit Behinderung oder psychischen Erkrankungen individuelle Unterstützung im häuslichen Umfeld. Aktuell begleitet das Team 45 Personen im südlichen Landkreis. Die Offenen Hilfen beraten zu behindertenspezifischen Themen, bieten Freizeit- und Bildungsangebote und organisieren einen familienentlastenden Dienst. Kaiser berichtet von der anziehenden Nachfrage im Landkreis Neu-Ulm. „Die Pandemie hat diese Entwicklung nicht entspannt, ganz im Gegenteil“, sagt er. „Oft sind die ABW-Mitarbeiter die einzigen sozialen Kontakte, die unseren Klienten geblieben sind.“ Die steigende Zahl von Menschen, die u. a. aufgrund von familiären und sozialen Erschwernissen Hilfe brauchen, bringe noch eine andere Herausforderung mit sich, so Kaiser: „Die massive Wohnraumproblematik auch im Landkreis Neu-Ulm zeigt sich deutlich verschärfter für Menschen mit Handicap. Sie haben nicht selten Einkommenseinbußen oder leben von der Grundsicherung. Damit haben sie noch größere Probleme, bezahlbaren Wohnraum zu finden.“ Die Maxime der Kostenträger „ambulant vor stationär“ in der Eingliederungshilfe befördere diese Entwicklung. Das DRW habe es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, Wohnraum gerade für diese Zielgruppe zu schaffen.

Sozialraumnahes Wohnen

Zwar vertreten Gugenberger und Kaiser zwei unterschiedliche soziale Dienstleistungsangebote innerhalb des DRW. Gemeinsam teilen sie allerdings eine Vision für den Landkreis Neu-Ulm: Das Netz an sozialen Hilfen des DRW engmaschiger zu gestalten. Dafür arbeiten sie fachlich eng zusammen, wie das Beispiel Vöhringen zeigt: Menschen, die mehr Hilfe benötigen, leben zusammen mit Bewohnern mit größerer Selbstständigkeit unter einem Dach. Je nach persönlicher Entwicklung und Kapazität des Trägers könnten Bewohner von der einen in die andere Wohnform wechseln. Diese „Durchlässigkeit“ ist Gugenberger und Kaiser wichtig. Sozialraumnahe Wohnprojekte wie in Vöhringen mit stationärer und ambulanter Betreuung können sie sich deshalb auch in weiteren Gemeinden des Landkreises vorstellen. Exemplarisch nennt Gugenberger die Orte Weißenhorn und Senden. Kevin Kaiser unterstreicht: „In Vöhringen haben wir für die Appartements mehr Nachfrage als Angebot.“

Auch organisatorisch rücken die beiden Kollegen näher zusammen. Kevin Kaiser hat den Landkreis in Nord und Süd aufgeteilt. Die ABW-Dienststelle in Illertissen ist zuständig für den südlichen Landkreis. Im Büro in Neu-Ulm laufen Anfragen für den nördlichen Landkreis und das Stadtgebiet Neu-Ulm auf. Und die Leitung der stationären Wohneinrichtungen für den Landkreis ist jetzt ebenfalls in Illertissen ansässig. „Auf diese Weise sind wir näher dran an den Menschen, die bei uns anfragen und die wir begleiten“, sagt Reinhard Gugenberger. Doch so gut Organisation und fachliche Zuordnung geregelt sind – es gibt ein großes Problem: Auf der Baustelle des sozialen Miteinanders fehlen schlicht die Handwerker.

Im Kreis Neu-Ulm eine Pioniersituation

„Jetzt gilt es noch, die Menschen zu finden, die dazu beitragen, dass unsere Pläne und Angebote auch umgesetzt werden können“, sagt Gugenberger. „Wir suchen alle Berufe, von der Heilerziehungspflege, Erzieher, Sozialpfleger aber auch Verwaltungskräfte und Techniker, Mitarbeitende in der Hauswirtschaft und in der Hausreinigung“, zählt er auf. „Das ist eine riesen Herausforderung, hier etwas aufzubauen, in gewisser Weise eine Pioniersituation. Das gemeinsame Leben in einer neuen Wohneinrichtung beginnt ohne Probelauf. Das ist eine wahnsinnig spannende Angelegenheit. Wir sind eine sehr überschaubare DRW-Region ohne große Hierarchien. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit uns diese neuen Angebote etablieren, bekommen viel Vertrauen und große Eigenverantwortung. Gemeinsam möchten wir hier in den nächsten Jahren einen großen Teamgeist und ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln, das zum Wohlbefinden unserer Bewohnerinnen und Bewohner wesentlich beitragen wird.“  Deshalb will und kann Gugenberger in Vöhringen nicht mit Vollbelegung starten. Nicht nur, weil sich auf diese Weise alle im neuen Haus besser aufeinander einstellen können. Auch, weil immer noch Baumeister des sozialen Miteinanders für das Haus „Renate“ fehlen.

Beitrag teilen:

Weitere Beiträge

Lesen Sie weitere spannende Beitrage aus dem DRW