Dominikus Ringeisen

Text von Holger Lauerer

„Am 24.4.1884 kauft der Benefiziar Dominikus Ringeisen Teile des alten Klosters Ursberg und das klösterliche Leben beginnt von neuem“

So einfach wie 1125, dass ein bestehender Orden eine neue Niederlassung gründet war es aber nicht!

Um die Situation von Dominikus Ringeisen, seine Visionen und Ziele, sowie deren Umsetzung zu verstehen, müssen wir den Blick kurz weiten:

  • Politik: Bayern ist seit 1806 ein Königreich und wird ab 1871 in das neue Deutsche Kaiserreich eingegliedert.
  • Religion: Nach der Säkularisation war die Kirche in Bayern auf die Kernaufgabe Pfarrseelsorge und Pfarrgemeindearbeit reduziert und dadurch in ihren Möglichkeiten stark eingeschränkt. Neue Ordensgemeinschaften mussten konzeptioniert und dem Ministerium zur Genehmigung vorgelegt werden, das sehr Kirchen-ablehnend eingestellt war. Ordensmitglieder konnten auch nicht einfach den Einsatzort wechseln, sondern benötigten dazu eine Niederlassungsgenehmigung die an Voraussetzungen geknüpft waren.
  • Wirtschaft und Wissenschaft: Mit der Erfindung der Dampfmaschine und deren Einsatz im Alltag, veränderte sich die Wirtschaft grundlegend. Die Kraft von Mensch und Tier wurde nun durch Maschinen ersetzt, so das Prozesse vereinfacht und dadurch beschleunigt und verbilligt werden konnten. Im Gegenzug starben die Manufakturen aus z. B. in der Textilerzeugung, wo Handspinner in Heimarbeit von Fabrikschlössern mit mechanischen Webstühlen ersetzt wurden. 1886 wurde das erste Auto von Daimler Benz zum Patent angemeldet, 1897 folgte der Dieselmotor und 1898 wurde die Maschinenfabrik Augsburg Nürnberg (MAN) gegründet. So zog die Industrialisierung Bayerns in die ehemaligen freien Reichstädte ein und verbreitete sich von dort aus.
  • Ständesystem: Aus dem Wehrstand (Adel) wurden die Fabrikbesitzer; aus dem Nährstand (Bauern) entwickelte sich der vierte Stand Arbeiterschaft.
  • Medizin: Ab 1800 setzt sich die Erkenntnis durch das „Verrücktheit“ keine „Besessenheit“ oder „Laster“ sind, sondern eine Krankheit, die behandelt, gelindert und geheilt werden kann. Johann J. Guggenbühl in der Schweiz und Josef Probst in Mühldorf sammeln erste Erfahrungen mit Anstalten für „Kretinen“, Ecksberg und Wagner folgten.  Lebten Menschen mit Behinderung jahrhundertelang in ihren Familien, wurden dort mitgetragen und mitversorgt, so veränderte sich mit der Industrialisierung die Betreuungssituation, da die Angehörigen das so nicht mehr leisten konnten. Krankenhäuser, Armenhäuser und Spitäler nahmen diese Menschen auf wo sie der Unwissenheit und Hilflosigkeit entsprechend betreut wurden z.B. in „Irrengängen“ von Spitälern wo sie angekettet und zum Teil nackt hausten und sich selbst überlassen waren. 

 

Einerseits die neuen medizinischen Ansichten, andererseits die Not und das Elend, führten dazu, dass Visionäre wie Wagner, Ecksberger und auch Ringeisen Einrichtungen bzw. „Kretinen Anstalten“ gründeten, um aus ihrem christlichen Verständnis heraus das Leid zu lindern.

Gründen, Leiten, Pflegen

Eine Vision oder Idee in die Tat umzusetzen, Immobilien zu kaufen, Finanzmittel zu sammeln und den rechtlichen bzw. behördlichen Unterbau zu gestalten ist das Eine, die Betreuung und Pflege der zukünftigen Bewohner dieser Einrichtungen das Andere.

Die Herangehensweise an dieses Problem der Pflege und Betreuung war bei allen Visionären ähnlich.

Das Kapital um Pfleglinge zu ernähren und gleichzeitig das benötigte Personal auf unterstem Preisniveau zu bezahlen war für alle Visionäre mit Spendengelder, Kollekten und Fördervereinen (z.B. in Mühlhausen) nicht finanzierbar.

Das Königreich erkannte zwar den Bedarf und das Problem, beteiligte sich aber nicht an den Kosten.

So war der Einsatz von Ordensgemeinschaften die einzige Option um kostengünstige (nur Kost und Logie) und motivierte Arbeitskräfte zu bekommen.

Es gab bereits sogenannte O-Hospiz Orden wie die Barmherzigen Brüder bzw. Schwestern. Ringeisen ging auch in Verhandlung mit diesen Orden, wollte aber nicht zum Geldgeber „degradiert“ werden. Auch Josef Probst wollte „Herr im eigenen Haus bleiben“ und entschied sich wie Ringeisen gegen professionelle Pflegeorden.

Kosten

Ungelernte Pfleger wurden wie Knechte und Mägde auf dem Land bezahlt – ca. 18 bis 36 Gulden für Frauen und 24 bis 60 Gulden für Männer pro Jahr bei einer 7-Tage-Woche.
Hilfsarbeiter in der Maschinenfabrik MAN bekamen zur gleichen Zeit 250 Gulden im Jahr, bei einer 6-Tage-Woche.
Die Ernährung eines zu Betreuenden lag im durchschnitt bei 70 Gulden im Jahr.

Der Beginn einer neuen Ursberger Ordensgemeinschaft

Die Gründung eines eigenen Ordens bzw. einer Gemeinschaft war die Option die Ringeisen wählte. Mit der Unterstützung der Kaufbeurer Franziskanerinnen, deren Benefiziar er war, bekam er zwei Schwestern für Leitungs- und Organisationsaufgaben sowie zwei Dienstmägde und ein Startdarlehn gestellt.

Mit diesen zwei Schwestern und weiteren Frauen, die ehrenamtlich arbeiteten, begann Ringeisen (die Frauen) die Voraussetzungen für einen Anstaltsbetrieb in den alten Klostergemäuern zu schaffen - gegen den anfänglichen Willen der Dorfbewohner die kein „Asyl für Deppen“ werden wollten (Quelle: Gert Tröger, 1984 „Dominikus Ringeisen und sein Werk“)

Bereits im Dezember 1884, zwei Tage vor Weihnachten, wurde der erste Bewohner (Ignatz Dietrich) aufgenommen, nur 1,5 Monate nach Ankunft der beiden Franziskanerinnen.

Am 4. Mai 1886 wurden die ersten sieben Schwestern eingekleidet. Es war aber noch keine rechtliche Ordensgemeinschaft wie die St. Josefskongreation heute, sondern ein freiwilliger Zusammenschluss mit einem privaten Gelübde.

Das harte Leben der Schwestern

In seiner Predigt verglich Ringeisen den Eintritt in die Ursberger Gemeinschaft mit der Befreiung Israels aus der Sklaverei Ägyptens. Aus heutiger Sicht ist der Vergleich sehr passend da die Lebensbedingungen der Schwestern mehr als hart waren. Neben der Arbeit in der Ökonomie sowie in allen anderen Gewerken, von der Mühle über das Sägewerk, hin zur Bäckerei und der Brauerei, kam noch der unermüdliche Einsatz in der Pflege hinzu.

Die Sterblichkeit der Schwestern unter 50 Jahre war im Vergleich zu bayerischen Frauen außerhalb der Gemeinschaft doppelt so hoch, obwohl das größte Risiko der Frauen das Wochenbett nicht gegeben war.

Für 75% der Todesursachen waren Tuberkulose, Überarbeitung, Stress und Mangelernährung verantwortlich.

Viele Frauen machten sich Gedanken was passiert, wenn sie alt werden und sich nicht mehr an der täglichen Arbeit beteiligen konnten. Viele nahmen das zum Anlass Ursberg wieder zu verlassen und in eine „zugelassene“ Ordensgemeinschaft zu wechseln.

Die offizielle Ordensgründung

Ringeisen war mit der Organisation der Anstalt, den Zukauf weiterer Zweigstellen, Manufakturen, alten Werkstätten usw. so in Anspruch genommen, dass er die Gründung und die rechtlichen Voraussetzungen für eine eigene Ordensgemeinschaft immer weiter hinauszögerte.

Erst knapp 10 Jahre nach Einzug der ersten Schwestern erstellte er die ersten Statuten einer geistigen Gemeinschaft, mit denen er umgehend vom Generalvikar Dr. Henle zur Überarbeitung nach Hause geschickt wurde. Die Differenz der Vision und die Notwendigkeit der Realität waren einfach zu verschieden.

Dr. Henle ist es nun zu verdanken, dass der gegen Ringeisen und seine Schuldenpolitik eingestellte Minister Landmann in München überzeugt werden konnte, dass es für das Wohl der arbeitenden Frauen und dem unsagbaren Elend und Leid notwendig sei, diese Ordensgemeinschaft zu genehmigen.

Am 31.1.1897 erreichte das Telegramm der Staatsregierung Dominikus Ringeisen, am 2.2.1897 wurde es bei der Lichtmessfeier den Schwestern mitgeteilt.

Am 13.2 wurde die Gemeinschaft kirchenrechtlich durch den Bischof genehmigt 

Am 19.3.1897 kamen die Pflegerinnen, Stallmägde, Köchinnen, Handwerkerinnen und Lehrerinnen im festlichen Brautkleid. 115 Bräute legten an diesem Tag den weißen Schleier aus den Händen ihres Bischofs an und somit begann die Geschichte der St. Josefskongegation - 13 Jahre nach dem Einzug der ersten Bewohner.

Die Geschichte der Kongregation über mehrere Reiche, zwei Weltkriege, viele Erfolge und bittere Schicksalsschläge ist nun eine Geschichte, die 2027 vom Haus der Bayrischen Geschichte in Ursberg weiterzählt wird.