Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist – lautet ein gut gemeinter Rat. Dahinter steckt die Vorstellung: Ab hier kann es nur noch schlechter werden; vom Gipfel geht es halt bergab. Aber wann ist der Moment, aufzuhören, gekommen? Und: Findet man ausgerechnet an diesem Punkt die Kraft, loszulassen? Es gibt viele Beispiele von Menschen, die den Absprung zur rechten Zeit nicht geschafft haben und den guten Zeiten ewig hinterherlaufen.
Den richtigen Zeitpunkt, das eigene Lebenswerk sowohl materiell als auch ideell in die Zukunft zu führen, haben die Schwestern der St. Josefskongregation vor 25 Jahren für sich gesehen, und sie haben gehandelt. Damals haben sie entschieden, das Erbe, das sie von Dominikus Ringeisen vor gut einem Jahrhundert übernommen hatten, abzugeben, daraus eine Stiftung zu machen, die selbstständig – aber in ihrem Sinne – weiterarbeitet. Es zeigt den Mut der Schwestern, dass sie sich eingestanden haben, dass der Zeitpunkt des Loslassens gekommen war. Sie haben sich nichts mehr vorgemacht. Sie haben – wie es die heutige Generaloberin Sr. Katharina Wildenauer ausdrückt – Schwäche eingestanden – voreinander und vor der Öffentlichkeit.
Diese Entscheidung ist lange gereift, war in Teilen schmerzhaft und fiel den Beteiligten nicht leicht. Vergleichbar ist es vielleicht mit einem Kind, das, groß geworden, auszieht, aber weiterhin begleitet wird von der elterlichen Sorge und ihrer Sehnsucht nach Gemeinschaft. Gerade deshalb ist das Loslassen Gewinn gewesen für die Schwestern. Ihr Eingeständnis der Schwäche war in Wahrheit Ausdruck der Stärke. Denn nur so konnten sie ihr stolzes Lebenswerk rechtzeitig übergeben. Sie taten es für die Menschen mit Behinderung, denen sie ihr Leben gewidmet hatten, und für Generationen von Mitarbeitenden, denen die Tür ins Dominikus-Ringeisen-Werk offenstand, und die sich heute in den vielfältigen Berufen bei einem der größten Sozialträger Bayerns engagieren.
Das ist alles möglich geworden durch die Entscheidung, abzugeben, als es noch ging. Eine Entscheidung mit großer Tragweite. Für mich eine beeindru-ckende Leistung der Schwes-tern und ein wahrer Grund, 25 Jahre Stiftung zu feiern. Und: Stoff zum Nachdenken, wie ich es persönlich halte mit dem Abgeben in meinem privaten wie beruflichen Bereich. An was hänge ich sosehr, das es mich bindet und mein oder das Weiterkommen einer Gruppe hemmt? Wo kann, wo sollte ich loslassen, damit Neues entstehen kann?
Danke für dieses mutige Vorbild und Glückwunsch an die Schwestern der St. Josefskongregation!
Manuel Liesenfeld
Leiter Referat Öffentlichkeitsarbeit