Ursberg / 19. Dezember 2025 – „Schwesterherz! Frauen retten Bayern“ – mit dieser Feststellung im Titel geht das Haus der Bayerischen Geschichte in die Landesausstellung 2027. Es geht um Notsituationen der bayerischen Geschichte, in denen Frauen als Köpfe, Hände und Herzen der Hilfe Großes geleistet haben. Dillingen fungiert dabei als Bildungsstandort, während die Ausstellung in Ursberg beheimatet sein wird. Dieser Beitrag wirft einen Blick auf Ursbergs Heldinnen: die Pionierinnen der frühen 1970er Jahre, die in der neu gegründeten Heilerziehungspflegeschule die Chance auf eine berufliche Ausbildung ergriffen. Der Beginn einer Professionalisierung der Pflege bedeutete auch für die Schwestern der Ursberger St. Josefskongregation, die in Werkstätte oder Pflege beschäftigt waren, einen verpflichtenden Besuch der Fachschule. Eine Stammtischrunde der damaligen Schülerinnen erinnert sich an die Anfänge.
Gummistiefel – ohne sie ging damals gar nichts. Darüber ist sich die Stammtischrunde im Klosterbräuhaus einig. Der Stammtisch, eine vergnügt plaudernde Damenrunde – alle um die 70, alle bestens gelaunt und alle ehemalige Schülerinnen der ersten Generation der 1970 gegründeten Heilerziehungspflegeschule. Und die Gummistiefel, das muss jetzt unbedingt noch einmal erwähnt werden, waren unerlässlich, um trockenen Fußes vom neu erbauten Schülerwohnheim gleich hinter dem klösterlichen Obstgarten zur frisch eröffneten Schule zu kommen – gut 500 Meter Luftlinie durch die ehemalige Kuhweide entlang dem „Zwetschgenweg“, einem morastigen, unbefestigten Feldweg ohne Beleuchtung. Bis aus Baden-Württemberg, wie Agnes Szörenyi, und Unterfranken, wie Barbara Seidel oder Schwester Lucia aus Oberfranken, kamen die Schülerinnen.
Schülerinnen links, Zivis rechts
Lebhaft werden Erinnerungen ausgetauscht. Lachend fallen sich die Damen ins Wort, als sie an die Anfänge zurückdenken: „Im Wohnheim – das heutige Haus Joachim in der Angelina-Martin-Straße – waren zu Beginn des neuen Schuljahres im Neubau zwar noch nicht alle Baumaßnahmen abgeschlossen. Dafür haben wir im Keller die überzähligen Rosshaarmatratzen aneinandergenäht und uns mit weiteren ausrangierten Möbeln einen tollen Partyraum geschaffen“, erinnert Schwester M. Lucia und findet im mitgebrachten Fotoalbum auch die Beweisbilder. Zeugnisse fröhlicher Zusammenkünfte im Untergeschoss des Wohnheims gemeinsam mit den Zivildienstleistenden sind ebenfalls im Album zu sehen und wecken Erinnerungen an die gestrenge Schwester M. Diethart. Ihre Aufgabe war es, im Treppenhaus des Wohnheims darüber zu wachen, dass die Zivis und die ersten männlichen HEP-Schüler ihre Unterkünfte auf der rechten Seite des Hauses nicht mit den Zimmern der jungen Damen in der linken Haushälfte verwechselten. Es gelang nicht immer.
48 Wochenstunden Arbeit plus Unterricht
Überhaupt scheinen die Lebenskräfte der jungen Schülerinnen schier unendlich gewesen zu sein. Neben dem Freizeitspaß waren ja noch 48 Wochenstunden Arbeit in den Schlafsälen und auf den Wohngruppen zu bewältigen. Dazu der Unterricht der oft genug abends stattfand, die Vorbereitung der Lehrproben und in den Sommermonaten die Ernte von Obst und Gemüse, noch vor dem eigentlichen Arbeitsantritt um sechs Uhr früh. Das alles zu einer Zeit, als das Kloster noch Heimat von rund 700 Franziskanerinnen war und die großen Schlafsäle noch in Haus St. Josef – heute ein Teil des Ringeisen-Gymnasiums – untergebracht waren. Schlafsäle mit Betten dicht an dicht und einer Enge, die es sehr erstrebenswert machte, die freien Stunden am Nachmittag an der frischen Luft zu verbringen. „Auf dem Autofriedhof in Bayersried haben meine Buben gerne gespielt“, erinnert sich Schwester M. Hieronyma. „Da konnten sie nichts kaputtmachen. Oder wir sind zum Schlittenberg nach Oberrohr. Im Sommer konnten sie da auch mit dem Leiterwagen den Abhang hinuntersausen. Das war auch für die, die nicht selbständig laufen konnten ein schönes Vergnügen.“
Umzug mit dem Leiterwagen und endlich fließend Warmwasser
Aber nicht nur die Professionalisierung der Pflege durch eine regelrechte Ausbildung war ein Zeichen des Aufbruchs in eine neue Zeit – auch die Abkehr von den großen Schlafsälen hin zu kleineren individuelleren Wohngruppen brachten viele Veränderungen mit sich. Schwester Hieronyma erinnert sich wie der Umzug von Haus St. Josef zum neu erbauten Haus Adelheid, Stück für Stück mit dem Leiterwagen transportiert, vonstattenging. Für so ein Unternehmen ein motorisiertes Fahrzeug zu bemühen und teures Benzin zu verbrauchen schien undenkbar. „Aber ich hatte endlich ein eigenes kleines Appartement mit fließend Warmwasser für mich. Das war ein Traum. Im alten Schlafsaal hatte ich ja nur eine kleine Nische mit einem Bett“, erinnert sich die inzwischen 87-jährige Franziskanerin. Dass ihre wilde Bubengruppe – geistig und körperlich behinderte Jungs ab der 5. Klasse bis zum Schulaustritt – mit dem Umzug halbiert werden sollte, war nur zu einem Teil Erleichterung, gesteht sie: „Ich hatte sie ja alle gern, obwohl sie im Umgang nicht zimperlich waren. Einmal hatte ich eine gebrochene Nase und einer hat mir mal im Unverstand die Haare angezündet.“
Leidenschaft und Hingabe
Trotz solcher Erlebnisse erinnert sich die Stammtischrunde mit Wärme an diese Zeit, die geprägt war von einem außergewöhnlichen Zusammenhalt im Kollegium: „Wenn man in der Freizeit nichts anderes zu tun hatte, ging man gerne nach St. Vinzenz“, ist man sich am Tisch einig. „Dort waren damals die Schwerstbehinderten und Hilfe war immer willkommen. Sei es beim An- und Umkleiden der Bewohner, beim Essen eingeben oder Wäsche machen.“ Was genau diese Hingabe an den Beruf, die Leidenschaft für die oft schwere Arbeit ausmachte, auch darüber herrscht in der Gruppe kein Zweifel: „Unsere Arbeit war ganz einfach weniger reglementiert durch Vorgaben. Jede machte alles so gut sie´s vermochte. Wir haben auch gruppenübergreifend zusammengehalten und hatten gemeinsam Spaß.“ Ein Spaß und eine Freude, die die Tischrunde auch heute noch allmonatlich zusammenkommen lässt und für eine Aufgabe schwärmen, die immer noch mehr ist als bloße Profession.
Text: Petra Nelhübel